REVIEW: The Witcher 2: Assassins of Kings




Jedes mal ein Höhepunkt ist das Auftauchen eines Drachens.
Der allen Versionen beiliegende Soundtrack ist sehr gelungen. Vielleicht lässt er sich in etwa der Mitte zwischen solchen Extremen wie Gothic 3 und Drakensang: Am Fluss der Zeit einordnen. Während ersterer so bombastisch und wirkungsmächtig inszeniert ist, dass er als Spieluntermalung häufig zu dominant ist, plätschert letzterer zu unauffällig dahin und ist so zwar gut für die Hintergrunduntermalung im Spiel geeignet, aber kaum besonders eindrucksvoll als Solohörvergnügen. Da ist einfach zu viel „Pseudo-Mittelalter-Fahrstuhlmusik“ dabei. Der Soundtrack zu The Witcher 2 beschreitet hier einen gelungenen Mittelweg. Von den 23 Stücken mit einer Gesamtlaufzeit von 72:13 Minuten sind einige bewusst aufwühlend und eindrucksvoll gehalten. Dazu zählt der bedrohlich-melancholische Titeltrack „Assassins of Kings“, bei dem man schon ahnt, dass in diesem Spiel jede Menge schlimme Dinge passieren werden. Ebenso das treibende „Easier Said then Killed“. Oder das Stück „Wild Hunt“: Mit E-Gitarre und Metal-Klängen wird schnell eine äußerst bedrohliche Atmosphäre aufgebaut. Andere hingegen, wie zum Beispiel „Dwarven Stone upon Dwarven Stone“ (mit 7:35 auch das längste Stück) bieten eine eher ruhige und fast schon besinnliche Melodieführung, die mit wenigen dominanten Instrumenten wie Flöte oder Akustikgitarre erreicht wird. Trotzdem wirken diese Tracks nicht langweilig oder beliebig, sondern sind aufgrund ausdrucksstarker Interpretation jedes für sich ein kleiner Höhepunkt. Wunderbar auch das fröhliche „A Watering Hole in the Harbor“, mit dem man perfekt von den ganzen Kämpfen, Verstrickungen und Enthüllungen abgelenkt wird. Kurioserweise erinnert „For a Higher Cause“ an das Main Theme des 17 Jahre alten Lord oft he Realms 2. (Kennt das überhaupt noch jemand?) Hin und wieder wird zwar mit breiten Streicher-Arrangements und ähnlichen Höhepunkten in die Vollen gegriffen, doch werden diese Momente ebenso wie der Gesang in einigen Stücken immer sparsam und akzentuiert eingesetzt. Nirgends wirkt es bombastisch oder übertrieben.



Kampf gegen eine Gralle.
„Der König liebte seine Gemahlin, die Königin, über alle Maßen, und sie liebte ihn von ganzem Herzen. So etwas konnte nur ein unglückliches Ende nehmen.“

So schreibt Flourens Delannoy in seiner Märchensammlung. Mit The Witcher 2 nimmt es jedoch gücklicherweise kein unglückliches Ende. Mir fällt es schwer, mich im zweiten Kapitel für Iorweth zu entscheiden, denn nur wenn man auf Seiten Vernon Roches kämpft, bekommt der verbrecherische Loredo, korrupter Chef von Flotsam und Verräter, auf jeden Fall seinen verdienten Lohn. Aber dafür bekomme ich nicht den Dolch von Philippa Eilhart, um dem Drachen im dritten Akt das Leben zu retten. Aaargh! Verdammte Entscheidungen. Aber genauso muss es sein. Das simuliert echtes Leben: Wenn man sich für eine Sache entscheidet, hat das eben Konsequenzen. Genau diese Art der Umsetzung ist es, was The Witcher 2 Assassins of Kings so großartig macht. Neben der Grafik, neben der tiefgründigen Welt, neben der lebendigen Inszenierung und neben vielen anderen Dingen. Ein großartiges Spiel für alle Freunde von Geschichten. Hier fühlt man sich wirklich mittendrin, darf eigene Entscheidungen treffen und so den Lauf der Dinge wenigstens in Teilen abändern, hier fühlt sich der Spieler ernst genommen. Da übersieht man auch großzügig die Konsolenansätze in der Steuerung, die teilweise anspruchslosen Minispiele, die eher sparsame Gegnervielfalt, das nicht gerade besonders vielfältige Charaktersystem, und den recht kompakten dritten Akt.


Kinder: Finger weg von Drogen! Sonst sieht man auch irgendwann so aus und wird sehr wunderlich.
CD Projekt RED ist das Studio, das derzeit mit seiner Interpretation eines Computerrollenspiels meiner Meinung nach am dichtesten dran ist, am ultimativen Rollenspiel, denn hier stimmt fast alles. Aus den Niederungen der Dungeon Crawler, bei denen es lediglich hieß: „Gehe in diese Höhle, überlebe alle Monster und hole den Schatz am Ende heraus“, hat sich das Rollenspielgenre über Jahrzehnte zu einer erzählenden Form der Computerspiele entwickelt. Natürlich wurde dies auch von Shootern vorangetrieben, bei denen gerade die stark durch Script-Sequenzen gesteuerten Vertreter der letzten Jahre ganz neue Ebenen im Massenmarkt erobert haben. Doch letztendlich gelingt es merkwürdigerweise ausgerechnet Rollenspielen wie gerade dem Witcher viel besser, Geschichten mit Nachwirkungen zu erzählen, als den auf Realismus getrimmten Militär-Actionspielen wie der Call of Duty-Reihe. In Fantasyspielen der Oberklasse taucht keine böse Bedrohung von außerhalb auf, die es zu bezwingen gilt. Es gibt keine Einteilung in gut und edel auf der einen Seite und böse und verderbt auf der anderen. In den besten Spielen des Genres ist der Mensch Bedrohung genug für sich selbst und stellvertretend für die allgemeine Meinung muss sich der Spieler mit Fragen nach Gerechtigkeit, Moral oder der Richtigkeit des eigenen Handelns auseinandersetzen. Gerade so wie in der Realität auch. Gute Fantasygeschichten sind daher Parabeln auf die Wirklichkeit, gute Fantasyspiele regen zumindest zum Nachdenken an. Verfremdungen wie die Einführung anderer Rassen, wie sie aus dem Fantasykanon bekannt sind, dienen lediglich dazu, dem eigenen Handeln den Spiegel vorzuhalten. Das gelingt zum Beispiel den Dragon Age-Spielen, deren Handlungen sich auch um Themen wie die Akzeptanz anderer, die nicht der allgemeinen Norm entsprechen oder Religion und ihre Gefahren drehen, in bedingtem Maße. Aber viel konsequenter, wuchtiger und glaubwürdiger wirken die beiden Hexer-Abenteuer auf dem Computer. Sich für das Universum des Hexers bei ihren Spielen entschieden zu haben und dessen Hauptaussagen dann auch auf die eigenen Spiele zu übertragen und die Welt eben nicht nur als willkommenen, aber ansonsten unwichtigen Hintergrund zu benutzen, ist eine nicht genug zu lobende Entscheidung der Witcher-Macher.


Bei all den Kämpfen, Intrigen, Hinterhalten und Dialogen bleibt Hexer Geralt doch immer wieder Zeit für die Liebe. In The Witcher 2 ohne Sammelkarten wie noch im Vorgänger aber dafür viel besser in die Handlung integriert.
In 30 oder vielleicht auch mehr Stunden – je nach persönlicher Spielweise – ist man an das Ende des Spiels gelangt. Doch Computerspiele sind wie auch Filme ein Medium, das jahrelange Vorbereitung und Produktion benötigt, ehe es konsumiert werden kann. Ähnlich wie Filme, die in 90 Minuten angeschaut sind, werden Spiele in kurzer Zeit durchgespielt – verglichen mit ihrem langen Herstellungszeitraum sozusagen in wenigen Augenblicken. Diese schnelle Konsumierbarkeit impliziert für viele Menschen auch einen geringen Wert und Austauschbarkeit und trägt sicher dazu bei, die Hemmschwelle beim Benutzen von illegalen Downloadmöglichkeiten zu senken. Doch damit tut man dem Medium unrecht. Gute Computerspiele sollte man genießen. Jeden Quest zelebrieren und sich an jedem Dialog erfreuen. Das Spiel wie ein Buch begreifen, einen Roman, der eine Geschichte erzählt, die den Leser an der Wandlung oder der Entwicklung von Charakteren teilhaben lässt und den man in Ruhe und mit Aufmerksamkeit liest. Mit den beiden Witcher-Spielen ist CD Projekt RED dabei, nach der fünfbändigen Romanserie die Saga um den weißhaarigen Hexer auf ebenso hohem Niveau und im Geiste des Erfinders, Andrzej Sapkowski, weiterzuspinnen. Und vielleicht stehen in einigen Jahren neben den fünf Büchern auch fünf gleichwertig großartige Spiele, die uns ebenso viel erzählen über Großherzigkeit und Niedertracht, über Moral und Lüge, über die Ursachen und Folgen menschlichen Handelns, die ebenso wie die Bücher die Welt des Hexers glaubwürdig und spannend, faszinierend und vielschichtig beschreiben und ihre Geschichten immer dort finden, wo Fantasy-Klischees fern und die grundsätzlichen Fragen nah sind. Ich hoffe es.

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